Flamenco frei gestalten

Interview mit Carina La Debla und ihrer Hobby-Tanzschülerin Luise Haack, Leiterin des International Support Services der Universität Passau, im Anschluss an den Online-Einführungskurs zu Soziologie und Tanz, im Rahmen des Sommerprojekts des studentischen Kuwi-Netzwerks.

 

 

 

Was ist der „wahre“ Flamenco? Diese Frage stellten die Teilnehmenden am Schnupperworkshop Flamenco während der Projektwoche des Kuwi Netzwerks der Universität Passau gleich zu Beginn. Carina Pabst, professionelle Flamenco-Tänzerin und -Lehrerin mit Künstlernamen La Debla und Wurzeln in Bayern, klärte die Frage live aus Sevilla, Andalusien, schnell auf: Flamenco lässt sich nicht lernen wie ein Repertoire an Standard- und Lateintänzen. Die „palos“, Formen des Flamenco, sind so vielfältig und regional verschieden, dass sie auf Plakaten oft schematisch als Baum dargestellt werden. Darüber hinaus stellte Carina die Instrumente und Accessoires des Flamenco - Mantón, Kastagnetten, Hut, Fächer und Schuhe - vor und gab Einblicke in seine Geschichte und Soziologie. Nach der theoretischen Einführung wollten wir es wissen und klatschten und tanzten ausgiebig.

 

Luise, durch Deine Vermittlung kam der Kontakt zur Flamenca Carina La Debla im Rahmen des kuwi.sommers zustande. Vielen Dank! Wie bist Du auf Carina gestoßen?

Über einen Flamenco-Newsletter: 2019 war ich für einen Workshop in München und sofort begeistert von Carinas anschaulichem Unterrichtsstil. Wer hätte gedacht, dass man mit Tortenstücken, Sandwiches und Zeitung seine Körper- und Armhaltung verbessern kann? Dass sie einen ihren ersten Auftritte in Deutschland auf der Passauer Studiobühne hatte und in Spanien Turbo-Kuwis kennengelernt hatte, habe ich erst später erfahren.

 

Wann und wie wurde Deine Flamenco-Leidenschaft geweckt?

Mein Kulturraum war der ibero-romanische. Nach dem Studium arbeitete ich für eine Medizintechnikfirma und war 2008 bei einer Geschäftsreisen zum ersten Mal in Sevilla. Dort war Flamenco omnipräsent. Auch wenn es pathetisch klingt: Die Leidenschaft in der Musik und die Energie des Tanzes haben mich gepackt. Ich konnte die Authentizität förmlich spüren.

Ich hatte dann Tanzunterricht in Passau, bis es die Lehrerin, Petra La Jardinera, in die große Stadt zog und ich “Gelegenheitstänzerin” wurde.

 

Und wie war das bei Dir, Carina? Wie bist Du zum Flamenco und nach Andalusien gekommen?

Als ich elf war, fiel mir eine Zeitschrift in die Hände, in der eine spanische Zigeunerin portraitiert wurde. Ihre Biographie und ihr bescheidener, gleichzeitig sehr sicherer und klarer Charakter haben mich sehr beeindruckt. Ich wollte sein wie sie und den Flamenco kennenlernen. 

Meine spätere Lehrerin Amparo de Triana war damals eine von wenigen Tänzerinnen, die nach Spanien gegangen waren, dort gelernt, gelebt und professionell getanzt hatten. Zurück in Deutschland gab sie Flamencokurse in München. Im Unterricht erzählte sie von ihren Erfahrungen mit den Gitanos, bevor wir tanzten. 

Nach der Schule wollte ich eine eigene Perspektive einnehmen und ging dafür nach Sevilla. Nach einem Jahr waren noch so viele Fragezeichen und Möglichkeiten offen, dass ich mich entschied in Granada Übersetzen und Dolmetschen zu studieren, um in Spanien bleiben zu können. Da die Universidad de Granada Partneruni der Passauer ist, habe ich dort Kuwis und Turbo-Kuwis kennengelernt - ein glücklicher Zufall.

 

Was bedeutet der Flamenco Tanz für Dich/Euch? Was drückt er für Dich/Euch ganz persönlich aus?

Carina: Wie schon erwähnt - es gibt DEN Flamenco nicht: In Tanz, Gesang und Gitarrenspiel drücken sich DIE FLAMENCOS aus, das heißt, es gibt eine grosse Bandbreite an Flamencorichtungen. Improvisation spielt dabei eine große Rolle. Anfangs dachte ich, Improvisieren hiesse, immer Neues erfinden. Es erschien mir eine sehr große Aufgabe, der ich intensiv gefolgt bin. Später erkannte ich, dass der tänzerische Ausdruck ein Rucksack voller Möglichkeiten ist, ein Repertoire, das sich basierend auf der Kenntnis der Struktur variieren lässt. Der Flamenco ist also ein Dialog, eine musikalisch-tänzerische Kommunikation.
In einer tanzpädagogischen Ausbildung habe ich die Grundlage für meine jetzige Methode gelegt, das Bewegungsrepertoire des Flamenco für mich zu erweitern und an andere zu vermitteln.

Luise:

Das funktioniert sehr gut, kann ich bestätigen. Carina findet leicht verständliche Bilder. Sie zerlegt komplexe Bewegung in kleine Teile. Mit Fokus und Struktur schafft sie den Rahmen für den Tanz.

Darüber hinaus, hat Carina in unserem Schnupperworkshop sehr treffend beschrieben, was ich in ihren Workshops spüre: 

„Flamenco steht für eine Katharsis, ein Eintauchen in eine tragische Realität und Auskosten des Schmerzes, woraus neue Energie und Kraft entstehen, die sich in steigender Geschwindigkeit und einer förmlichen Explosion zu einem fröhlichen Ende steigern.“ Das zeigt sich im Tanz und in der Musik – Gesang, Gitarre, Klatschen und seit den 1970ern ergänzt um das Cajón.

 

Carina gibt ja regelmäßig online und Präsenz-Kurse in Deutschland und in Sevilla für Anfänger*innen und Fortgeschrittene. Welche Kurse hast Du bei ihr schon belegt und was fasziniert Dich an ihr als Tanztrainerin?

Nach unserem ersten gemeinsamen Workshop war ich Feuer und Flamme, endlich den Traum umzusetzen, in Andalusien eine Woche Flamenco zu tanzen. Carina bietet das zweimal im Jahr an und hat da eine richtige Fangemeinde aus Flamencobegeisterten aus Deutschland. 

Für Juni 2020 hatte ich alles geplant - naja, ihr wisst ja, was dann passierte. Die Lust auf Bewegung war im Lockdown so groß, dass ich im April 2020 mit Carina in das Abenteuer "Flamenco im Wohnzimmer" aufgebrochen bin. Regelmäßiger Online-Unterricht live aus Sevilla ist das „neue Normal“ und eine große Ehre für mich!

 

Was war Dein bisher größtes Highlight beim Flamenco Tanzen, Luise?

Letzten Sommer hatte ich 10 Aufführungen einer Guajira mit Fächer! Die Guajira ist ein sogenannter cante de ida y vuelta mit Einflüssen aus Cuba und entsprechend fröhlich und etwas langsamer. Die Choreographie haben wir mit Carina in mehreren Wochen eingeübt, wobei sie uns nicht nur die Abfolge mit vielen Eselsbrücken, zum Beispiel einer Pralinenschachtel, bildhaft beigebracht hat, sondern auch wichtige Hinweise zu Körperhaltung und Ausdruck gegeben hat. 

Im Wohnzimmer war ich viel mehr als im Tanzstudio auf mich gestellt und diese Autonomie hat mir den Mut gegeben, die Guajira auf Bildschirmen und Terrassen meiner Freunde und Bekannten aufzuführen. 

 

Und Dein Highlight, Carina?

Granada war ganz anders als Sevilla, die Großstadt. Es gab keine “großen” Flamencolehrer, dafür aber die Nähe zu den Flamencos und Zigeunern. Ich hatte sie um mich, war mittendrin, auf Ferias und bei den Kulturwochen und habe meinen Künstlernamen La Debla erhalten. Als ich bereit war, Granada zu verlassen und in Deutschland auf Tour zu gehen, haben mich die Kontakte zu den Kuwis, die in Granada ihr Austauschsemester gemacht hatten, auf die Passauer Studiobühne vermittelt. Das war der Startschuss. Eines meiner Lieblingshighlights war dann 10 Jahre später mein Auftritt ihm Rahmen der renommierten Flamencobiennale in Sevilla, unten am Fluss, neben der geschichtsträchtigen Trianabrücke. 

 

Und wie geht es mit Luise und dem Flamenco weiter?

Aktuell erarbeiten wir eine Choreographie mit Hut -  den Garrotín. Praktischerweise kann ich so den Sommer über wieder für Programm bei Feiern und anderen Zusammenkünften in kleiner Runde sorgen. Und meinen Traum nach Sevilla zu fliegen habe ich nicht aufgegeben. Im Oktober überschneidet sich der Termin der Orientierungswochen für internationale Studierende und, obwohl wir auch dieses Jahr wieder viel davon online anbieten werden, geht hier die Arbeit vor. Ich habe den Termin im Juni 2022 anvisiert.

 

Hast Du / habt Ihr noch einen Tipp für Flamenco-Interessierte?

Mitmachen! Carina bietet online immer wieder Workshops am Wochenende an, die auch für Anfänger*innen geeignet sind. Auch wer keine Vorerfahrung, z.B. mit Ballett oder Modern Dance hat, wird sich sofort wohlfühlen, und mit Carinas Schritt für Schritt-Übungen das eigene Bewegungsrepertoire erweitern. Und wer im Oktober Zeit hat, geimpft und reiselustig ist: Auf nach Sevilla!

Für alle, die noch mehr lernen wollen über Flamenco und Spanisch verstehen: Stöbert doch mal auf Instagram oder YouTube - da gibt es einige Kanäle mit Wissen und Interaktion (wer Tipps braucht: @luisehaack). Wer es wissenschaftlich angehen möchte: Carina empfiehlt die Bücher "Sociología del cante flamenco" von Gerhard Steingress und "Flamenco(tanz) - Zur Instrumentalisierung eines Mythos in der Franco-Ära" von Kirsten Bachmann.